Nehmen wir einen intelligenten Menschen. Seine Intelligenz wird durch Leistung (ob schulische Noten, exzellente Arbeitsergebnisse oder brilliante Forschungsergebnisse) zertifiziert. Eventuell erhält der Mensch weitere Zertifikate seiner Exzellenz, zum Beispiel entsprechende Stipendien oder Jobangebote, an die jeweils ein Auswahlverfahren geknüpft ist, in dem der intelligente Mensch andere Mitbewerber hinter sich lässt.
Ein solcher Mensch, der wird sich im Laufe seines Lebens an Perfektion gewöhnen. Weil ihm bisweilen sein Ruf voraus eilt und Exzellenz also von ihm erwartet wird, gleichsam weil er dies vielleicht selbst von sich erwartet. Nur das Beste ist gut genug und Perfektion wird zum Alltagsgefühl. Außerdem wird er sich daran gewöhnen, öfters die besseren Argumente zu haben, vielleicht auch daran, dass ihm Wissen schneller zugänglich ist und er somit im Miteinander bisweilen im Vorteil ist. Vielleicht gewöhnt er sich auch an die Anerkennung, die er für seine Ausdrucksweise, seine Gedanken oder seine Art zu handeln erhält.
Wissen und Erkenntnis werden so wertvolle Güter im Selbstverständnis des intelligenten Menschens. Und ebenso die Sicherheit sich Wissen aneignen zu können und Erkenntnis zu erlangen. Der intelligente Mensch kann sich so daran gewöhnen, es schlussendlich „besser“ als viele seiner Mitmenschen zu wissen: weil ihm das durch seine Erfahrung im Umgang mit anderen bestätigt wird, er weniger Widerspruch erfährt, weil seine Annahmen meist korrekt sind oder er Widerspruch als weniger bedrohlich empfindet, weil er diesen meist mit den Waffen seines Geistes entkräften kann.
Nun fragt sich also der intelligente Mensch, ob ihn seine kognitiven Fähigkeiten glücklicher machen können, als weniger helle Geschöpfe. Mag doch ein wacher, heller Geist Zugang zu vielem ermöglichen.
Der intelligente Mensch kann sich aber dadurch auch der allgemeinen Orientierungslosigkeit in einer komplexen Welt entwöhnen. Und wird so Opfer seiner selbst. Denn was passiert mit dem intelligenten Menschen, der sich daran gewöhnt hat, korrekte Annahmen zu treffen, wenn er bei sich selbst feststellt, dass eine über sich selbst angenommene Wahrheit im Innersten erschüttert wird. Und dass er sich nicht im Ansatz verstehen kann, obwohl er doch so vieles in der Welt versteht, was anderen unverständlich ist.
Diese Erkenntnis kann fatal für einen intelligenten Menschen sein. Oder befreiend.
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