Neulich beschloss ich ein altes schwäbisches Kochrezept mal wieder aus der Versenkung zu holen: Geschmorte Ochsenbäckchen. Ein gediegenes Sonntagsmahl, mit viel Wein geschmort zerfallen die Bäckchen butterweich im Mund und man sitzt danach andächtig, zufrieden und glücklich-still vor seinem Teller. Nun lebe ich nicht mehr in einem schwäbischen Dorf, sondern in einer nordrhein-westfälischen Großstadt. Einschlägige Internetforen wiesen schon deutlich auf die Beschaffungsproblematik von Fleisch, welches etwas exotischer anmutet als Filet oder Oberschale, im urbanen Raum hin. Ich ignorierte die warnenden Stimmen. Vertraute fest auf die Kölschen Metzger, die sicher mit dem Klüngel auch so etwas wie Ochsenbäckchen auftreiben können. Nun, ich wurde eines Besseren belehrt. Do könne mer nix mache statt et hätt no immer joot jejange. Also keine Ochsenbäckchen. Das versetzte mich in eine Zeit zurück, in der es kein Problem war an Innereien und Co zu kommen, weil das Tier noch im Ganzen verwertet wurde und auch verwertet werden musste, damit sich die Schlachtung überhaupt lohnt. Nein, das ist keine 50 Jahre her, sondern nur 20 Jahre.
Ich bin auf dem Land groß geworden, aber nicht in einem Kuhdorf – sondern in einem Ort mit knapp 10.000 Einwohner. Und hier gab es noch Metzger, die in ihrem Wohnhaus ihren Verkaufsraum hatten und im Hinterhof die eigene Schlachtung. Mittwoch war Schlachttag – da bin ich dann immer mit Muttern einkaufen gewesen und ja, ab und an war auch der Bordstein rot gefärbt vom frischen Blut. Das hat mich nicht gegruselt, das war auch nicht martialisch – das war normal. Ich kannte den Mann, der das Tier für meine Wurst getötet hat und das war beruhigend. Weil ich die Tiere, die später meine Wurst und mein Fleisch wurden, kannte. Ich sah sie auf der Weide, im Bauernhof und später im Hinterhof des Metzgers und noch später in der Auslage des Verkaufsraums. Und zwar alles von Ihnen. Ochsenschwanz und Ochsenmaulsalat sind weitere schwäbische Spezialitäten, ebenso wie Rinderzunge. Schweinsohren und Rüssel schwammen in jeder anständigen Schlachtsuppe, die Füße wurden für eine ordentliche Brühe ausgekocht. Ein Tier ist nicht nur für sein Filetstück gestorben. Wenn ich heute in den Supermarkt gehe, dann erspart mir der findige Großhandel den Anblick von Innereien, Organen, Extremitäten. Damit ich nicht mehr daran denken muss, dass ich ein totes Tier esse, wenn ich mir ein Steak in die Pfanne haue. Warum eigentlich? Ertragen wir in unser sterilen Welt die Vorstellung nicht mehr, dass Fleischgenuss auch mit einer blutigen Schlachtung einher geht? Und mit dem Tod?
Können wir die Möglichkeit Fleisch zu essen überhaupt noch wertschätzen? Und damit das Leben, welches für unsere Wurst beendet wurde?
Meine Großeltern waren Bauern. Sie schlachteten selbst, zogen die Tiere dafür selbst groß. Mein Vater erzählte mir, dass das ganze Haus voller Würste hing, überall Konserven mit eingekochtem Fleisch im Haus standen, wenn er nach einem Schlachttag zu Besuch kam. Er kam so während seiner Studienzeit über die Runden und hat sich dort mit dem Luxusgut „Fleisch“ eingedeckt. Heute gehe ich in den Supermarkt und kaufe mir 100 g Hack für 44 cent. Ein Schnäppchen, aber zu welchem Preis?
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