In einem Gespräch, das ich vor vielen Monaten mit einer Freundin geführt habe, ging es um den Unterschied zwischen dem Alleinsein und dem Einsam sein. Ich meinte irgendwann: Die Kunst ist es, alleine sein zu können ohne einsam zu sein. Es war zur Zeit als ich beruflich in Berlin arbeitete, meine Fernbeziehung mich aber nirgendwo so richtig heimisch werden ließ. Ich pendelte alle zwei Wochen mehrere hundert Kilometer und auf der Strecke zwischen Herz und Arbeit, da blieb ich ab und zu ebenfalls auf der Strecke. Es kostete sehr viel Kraft, mich immer wieder neu zu justieren, zwischen Ankommen und Abschied. Es gab dabei Momente in denen ich die Freiheit des Alleinseins in Berlin genossen habe, meine dunkle, stille Wohnung, die freie Entscheidung darüber, wann ich was machen wollte. Und es gab Momente in denen ich mich in einer dunklen, stillen Wohnung einsam fühlte, mich nach einer warmen Umarmung sehnte, nach den Atemzügen eines Geliebten neben mir im Bett, nach gemeinsamen Unternehmungen. Ich bin ein Mensch, ich spüre meinen Empfindungen intensiv nach, bisweilen über die eigene Schmerzgrenze hinaus. Aber wie ein Perlentaucher finde ich auch immer wieder, in einer eigentlich lebensfeindlichen Tiefe, einen kostbaren Schatz, eine Erkenntnis, die mich immer wieder in die dunklen Tiefen meines Bewusstseins hinabtauchen lässt. Auf der Suche nach Mehr.
Wirklich bewusst wurde mir meine Leidenschaft für Tiefe mit meinem Entschluss meine Heimat und mein Land nach dem Abitur zu verlassen. Alles Bekannte hinter mir zu lassen und in einem fremden Land, in einer fremden Familie mich neu zu erfinden. Das ging damals gründlich in die Hose, mein Masterplan scheiterte grandios und führte dazu, dass ich mich entwurzelt, heimat- und vermeintlich schutzlos in einer irischen Nacht wiederfand. „moi tout seul“ – Mutterseelenallein. Meine Orientierungslosigkeit zeigte sich in einer für mich ungewöhnlichen Rastlosigkeit, es trieb mich hinaus in die Natur. Am Meer fand ich meine Ruhe wieder, die gleichmäßige Brandung beruhigte meine unruhigen Gedanken, die salzige Brise erfrischte meinen Geist und die sanften Dünen und das wogende Gras waren wie eine visuelle Streicheleinheit. Ich fand in dieser Einsamkeit einen Schatz: Die Erkenntnis, dass das Alleinsein heilsam sein kann. Ich fand dort Antworten auf Fragen die mich meine gesamte Schulzeit verfolgt hatten und ich wusste, es waren meine eigenen Antworten, Antworten, denen mein Wohl am Herzen lag. Ich sortierte mich neu.
Im Studium verließ ich meine Heimat nicht mehr über Ländergrenzen hinweg, aber ich zog vom Süden in den Norden Deutschlands. Und zu Beginn umfing mich Fremde, aber auch befremdlich Vertrautes. Ich fand mich in Strukturen wieder, die ich hinter mir lassen wollte, die mich in die Enge trieben und in die Einsamkeit. Wieder zog es mich hinaus in die Natur, in die Weite norddeutscher Moorlandschaften, Wäldchen und endlos erscheinender Alleen. In der Stille dieser flachen Landschaft fand ich mein Gleichgewicht und mit ihm die Offenheit für mein neues Umfeld. Ich wurde mit offenen Armen empfangen.
Nach meinem Studium zog es mich nach Berlin, allein. Wenn auch nicht unbedingt freiwillig. Aber ich genoss meine erste eigene Wohnung, so sehr wie ich davor das WG-Leben genossen habe. Aber auch hier fand mich die Einsamkeit und nistete sich in mir und meiner damaligen Beziehung ein. Ich war nicht bereit sie in mein Leben zu lassen, kämpfte mit allen Mitteln gegen sie an und beschloss sie mit einem logischen Schachzug zu entmachten: Ich zog an den Ort, an dem ich mein Herz vermutete. Ich fand es nicht, dafür einen weiteren Schatz: Ich entdeckte eine unbezahlbare Freundschaft, die Liebe verließ mich jedoch fürs Erste. Und statt zu trauern empfand ich mein Alleinsein als unbeschreibliche Befreiung, die Freiheit wieder ich selbst zu sein. Ich lachte über meine vorherige Angst vor der Einsamkeit. Ich war vorerst befreit von der Abhängigkeit nur dann Freude empfinden zu können, wenn ich diese auch mit einem Menschen teilen kann. Ich wollte den letzten Schritt gehen und beschloss, wenn auch nur im kleinen, einen Urlaub alleine zu machen.
Seit meinem ersten Solourlaub bin ich mutig geworden. Ich habe das alleine reisen, alleine speisen und alleine ausgehen für mich entdeckt. Vielleicht auch aus dem Mangel einer passenden Begleitung, aber ab und an auch aus dem tiefen Bedürfnis heraus, alleine loszuziehen und die (vertraute) Umgebung neu zu erkunden. Und doch habe ich hier eine stetige Begleiterin, die im Schatten auf mich wartet: Die Einsamkeit. Ab und an nimmt sie mich an der Hand, ihre Berührung lässt mich nach wie vor zusammenzucken und lässt mich in die Tiefe blicken. Vielleicht ist es eine Kunst, alleine zu sein und die Einsamkeit als Freundin akzeptieren zu können, denke ich mittlerweile. Sie schafft Platz in mir Schätze zu entdecken und sie zu bewahren. Sie ist der Schatten, der mir zeigt, dass ich im Licht wandle.
Sehr berührend – ich finde, das ist der reifste Beitrag aus den gut(h)en Geschichten….
sprachlich und inhaltlich.
Danke – so langsam dringe ich zu den wahren Themen vor.
Mir geht es wie Inge: eine sehr schöne Betrachtung über die Einsamkeit, in welcher ich manches von mir wiederfinde. Danke dafür!