Am Wochenende war ich mit einer Freundin wandern. Ich. Wandern. Dies erschien mir lange Zeit als Paradoxon. In meiner Kindheit fand ich Wandern anstrengend, bin aber zäh meinen Eltern noch so steile Berge hinauf gefolgt, weil mir die Vorstellung, allein im Tal zurück zu bleiben, noch viel unerträglicher erschien. Als Jugendliche pflegte ich folglich das bequeme Faulenzen mit Inbrunst und konnte einem Spaziergang in den heimischen Weinbergen rein gar nichts abgewinnen. Dann doch lieber ein Buch lesen oder sich mit Freunden treffen. Die einzigen Wanderungen, die ich unternahm, waren nachts mit meiner Jugendgruppe durch ins Mondlicht getauchte Wälder und Felder. Das Surreale der nächtlichen Landschaft machte es mir dann auch erträglich durch diese zu wandern.
Ich fühlte mich provoziert und war irritiert, wenn ich mit dem unermüdlichen Bewegungsdrang meiner Mitmenschen konfrontiert wurde. Nein, ich wollte jetzt nicht vor die Tür gehen und nein ich hatte auch kein Bedürfnis nach frischer Luft. Sport war für mich nach mehreren Versuchen in sämtlichen Leichtathletikdisziplinen (in denen ich fast ausnahmslos glorreich den letzten Platz verteidigte) kein Bedürfnis. Lästig waren die Versuche meiner Umgebung mich zu mobilisieren und als ich nach dem Abitur auch mein agiles Elternhaus verließ, winkte die Freiheit der selbstbestimmten Immobilität. Früh zeichnete ich im Kindergarten schon selbstbewusst ein Bett als meinen Lieblingsort. Und nach 15 Jahren kontinuierlicher Beobachtung, dass ich diesen nur nicht zu häufig aufsuchte, standen mir nun alle Liegestätten offen. Hurra! Nachdem ich in der Heimat weniger gute Erfahrungen mit ungestörten Ruhestätten machte, beschloss ich (natürlich auch aus anderen Gründen), das Ausland zu erkunden. Und dort fand mich die Rastlosigkeit. Eine fremde Insel erstreckte sich vor meinen Füßen und zog mich in ihren Bann. Das Meer rief mir zu, mich an seinen Stränden müde zu laufen, die Weite im Blick. Grüne Wiesen, azurblauer Himmel, unbekanntes Terrain und hinter jeder Ecke vielleicht ein neues Abenteuer? Ich fand die Lust am Laufen im Alleingang. Keine Meute, die mich wie geifernde Hunde hetzte, allein ich bestimmte wo ich wann hingehen wollte. Und dann ging ich.
Ich habe lange die Faszination an der Natur, ihren Landschaften und ihrer Stille nicht verstanden. Mir erschien es öde stundenlang durch Wälder zu streifen, dabei keiner Menschenseele zu begegnen. Ich suchte das aufregende Leben in den Städten, volle Tanzflächen um mich in der zuckenden Masse von den Rhythmen der Musik davon tragen zu lassen. Und irgendwann hatte ich das Bedürfnis, genau das, zumindest temporär, hinter mir zu lassen. Mit einer Freundin fuhr ich also vergangenes Wochenende in den Hunsrück. Schon die Fahrt durch kleine verschlafene Dörfer entlang der Mosel, weiter auf einer, sich wie eine schwarze Schlange durch das Schiefergestein schlängelnden, Straße, hinauf in verschneite Wälder und das Hochplateau des sanft geschwungenen Hunsrückgebirges. Es kribbelte in meinen Beinen, ich wollte hinaus. Wir schlenderten und marschierten durch Wälder, ergingen uns im Gespräch, das mit dem kleinen Bach neben uns um die Wette plätscherte. Oder liefen im Schweigen, unsere Augen auf weiche Mooskissen gerichtet, die sich an den Waldboden schmiegten. Eine zufriedene Ruhe breitete sich in mir aus, ich fiel abends todmüde aber vollgesogen mit Glück ins Bett. Die Gedanken in meinem Kopf lehnten sich gelassen zurück, während ich meine Runden drehte. Und ich begann zu verstehen, warum es Menschen in die Natur zieht. Wie das Bedürfnis entsteht, sich zu bewegen. Je weniger Gestaltungsspielraum ich in meinem Alltag habe, durch geregelte Arbeitszeiten, Abgabefristen, Verabredungen; umso größer wird die Sehnsucht einfach zu gehen.
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