Alle Jahre wieder steht ein Besuch in der alten Heimat an. Mit Oma einen Kaffee trinken, durch die altbekannten und dennoch wieder fremd gewordenen Straßen schlendern, in die vorbei ziehenden Gesichter schauen, ob sich ein Erkennen einstellt. Und die Erlebnisse, die mich in Rekordgeschwindigkeit wieder in meine Kindheit und Jugend versetzen…all das was ich daran liebe, was mir Heimat ist, was mich aber auch immer in die Ferne trieb, weit weg vom Altbekannten.
Szene 1: Ein in die Jahre gekommenes, bieder-altbackenes Cafe in der Innenstadt. Der ganze Raum duftet nach gebräunter Butter; ich sehe sie förmlich von den Hefeteilchen tropfen, die in der Auslage liegen. Im spärlich besetzten Caferaum an einzelnen Tischen einzelne Damen, die ihre besten Jahre schon hinter sich gelassen haben. Eine Dame bestellt glücklich eine Sahnetorte mit einer Extraportion Sahne. Als sie später bezahlt, ist die Sahne kaum angerührt. Das kann man natürlich so nicht zurück gehen lassen, die schwäbischen Wurzeln diktieren: „Hän Se mer was zum eipackä?“ Die Bedienung bringt eine Kuchenpappe und eine kleine Tüte. Die Dame kratzt die Sahne fein säuberlich aus dem kleinen Schälchen auf die Pappe, klappt diese zusammen, steckt alles in eine Tüte und dann in ihre Handtasche. „Des schmeckt mer au no schbäder.“
Szene 2: Ich laufe mit meinem Rollkoffer durch die recht belebte Innenstadt. Hier ist es so anders als in Köln. Die Frauen sind nachlässiger, aber stärker geschminkt – zumindest um die Augen. Die Nasen sind alle etwas größer, kantiger, die Kleidung weniger ausgewählt, dafür das Verhalten gelöster und weniger darauf bedacht, wer einen gerade betrachtet und wer nicht. Mein Blick streift die Passanten, vor allem die alten Herren können sich kaum von meinem Anblick lösen. Ja, auch das ist mir vertraut.
Szene 3: In einer Bäckerei, eine einzige Kundin vor mir. Zählt mühsam und ruhig den zu zahlenden Betrag in ein bis zehn Cent-Stücken auf den Tresen. Die Verkäuferin ist die Gelassenheit in Person. Danach unterhält man sich noch ein bisschen übers bevor stehende Fest, die restliche Kundschaft hat Zeit und hört zu.
Szene 4: In der S-Bahn. Jugendliche, mit hinter die Ohren geklemmten Zigaretten, spielen gelangweilt mit ihren Feuerzeugen. Checken die Passanten vor der Bahnscheibe ab, kommentieren lautstark „ey, wie hässlich die is“ oder „guck dir mal den Fettsack an, höhö“. Ich werfe einen Blick auf die Jungen – unscheinbar, pickelig, von der Kraft der Langeweile angetrieben. Ich lächle in mich hinein, weil ich mich gut an mein 15 jähriges Ich erinnere. Ich war der Überzeugung mir gehöre die Welt. Was sich über die Jahre doch ändert.
Szene 5: Ich fahre durch die Straßen meiner alten Heimat. Ein bisschen was hat sich verändert, aber mein Orientierungssinn spielt ein altes Programm ab: 19 Jahre Erinnerung sind meine Landkarte. Ich bewege mich intuitiv in meinen vertrauten Radien, dennoch fühle ich mich wie ein Fremdkörper in ehemals Vertrauten. Denn mittlerweile habe ich eine neue Heimat, neue Erfahrungen, ein neues Leben. Aber hier sind meine Wurzeln, es fühlt sich gut an, wieder an diese Basis zurück zu kehren. Nur hier spüre ich die Kraft, die mir mein neues Leben an einem neuen Ort gibt. Nur hier erkenne ich, dass ich den Weg mag, den ich bisher gegangen bin. Dass ich mir ausreichend Raum gegeben habe um zu wachsen, wenn es auch manchmal weh getan hat. Ich weiß, dass mich meine Wurzeln tragen werden. Dass ich mir vertrauen kann, wenn mich die Entdeckungslust wieder packt. Ich fahre durch die Straßen meiner alten Heimat und könnte schreien vor Glück. Und dann schreie ich und lache. Und lebe.
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