Es ist wieder soweit. Ich sitze an der gedeckten Tafel und klammheimlich hat sich ein weiterer Gast dazu gesellt. Ich hatte ihn nicht darum gebeten, er ist nicht eingeladen. Aber wir kennen uns gut, schon seit vielen Jahren und gerne mag er sein Gedeck rabenschwarz und abgründig. Ich mag seinen Anblick nicht, ich mag es nicht, dass er mich an meine Einsamkeit erinnert. Dass er mir damit den Appetit verdirbt und ich ihn hungrig mache mit meiner Sehnsucht.
Sein Besuch zeigt mir, dass ich mich nicht versöhnt habe. Mit dem Ich, was sich so gerne hingeben würde. Der Vorstellung für immer jemanden an meiner Seite zu haben, geliebt zu werden, die klassische Nummer zu ziehen: Hochzeit, Haus, Kinder, Friede, Freude, Eierkuchen.
Und schon ist ein weiterer Stuhl an der Tafel besetzt. Grau und trist diesmal die Kleider, keine Lust auf irgendwas – dazu das spöttische Lächeln und die hochgezogene Augenbraue derer, die es besser wissen. Die wissen, dass die klassische Nummer sowieso nicht zieht. Kaffee oder Tee? Für diesen Gast gibt es sowieso keine Alternative. Es gibt nur den Beweis. Den ich noch nicht erbracht habe. Ich kann keinen Erfolg vorweisen, nur das Scheitern. Das Scheitern von geführten Beziehungen, das Scheitern im Anbahnen von Beziehungen und das Scheitern im Alleine bleiben. Stumpf starren wir uns an.
Dem ersten Gast mundet es in dieser Runde immer besser. Zwischen Schlürfen und Beißen ruht die Anklage. Es muss an mir, an mir alleine liegen. Und nein – es gibt da keinen Ausweg. Da machen wir uns mal nichts vor. Die freie Wahl ist meine Illusion, ich bin wer ich bin, ich kann mich nicht verändern. Ich suche das Glück? Aber doch bitte nicht mit mir. Nicht mit ihm. Nicht mit ihr. Glück – auch das eine Illusion. Eine Tasse Verzweiflung, vielleicht? Bitte sehr! Hier ist der Gast großzügig.
Ach wie angenehm, er hat noch jemanden eingeladen. Groß und prächtig über die Jahre geworden, gesammelte Enttäuschungen, bittere Erkenntnisse. Herzlich willkommen, genau du hast uns noch gefehlt, im Quartett der Tristesse. Lass das Schwarz schwärzer scheinen und die graue Hoffnungslosigkeit auswegsloser. Das Sahnehäubchen, Verstärker und Begleiter des eigenen Schuldgefühls. Liebhaber des Konjunktivs, ach hätte ich doch… und ja, man kennt sich im Vorwurf. Sehr gesprächig, der große neue Gast. Leitet ein mit dem Klassiker: Schließlich erwartest du zu viel. Bist zu rigoros, siehst nicht gut genug aus, bist zu laut, zu leise, zu lieb, zu hart, zu dumm, zu schlau. Ja, ja genau du. Und wenn dir das nicht schmeckt, wenn du mir sagen willst, dass es nicht an dir liegt…hör mal, dann begründe doch, warum sie einfach so verschwinden. Die, von denen du dachtest, dass man sie gern haben kann. Sind es wohl doch nicht wert, oder? Nein – sowas willst du nicht hören, magst du doch weiter den Mensch betrachten und magst den Menschen. Ja dann, zurück zu dir, oder? Du siehst ja was du vom mögen hast. Schachmatt.
Die Runde wird in Gesellschaft immer lauter. Sie wollen, dass ich serviere. Das Scheitern. Sie haben die Zutatenliste und zitieren munter. Ganz oben steht der Vergleich. Schau doch nach links, schau nach rechts. Überall siehst du das, was du bei dir nicht siehst. Ja – wenn es wo anders geht, dann liegt es doch an dir. Die Beweisführung ist geschlossen, im Zweifel gegen die Angeklagte.
Aber halt: Liebe Gäste, ihr seid nichts anderes als das. Gäste. Ich habe euch die Tür geöffnet, oder sie nicht verschließen können. Ich habe euch Aufmerksamkeit geschenkt. Aber solange ihr eure Füße unter meinen Tisch stellt, habe ich immer noch die Macht über euch. Ihr habt mich vielleicht in eurer Euphorie nicht richtig verstanden, aber ihr müsstet doch mittlerweile wissen, dass ihr mir nicht auf Dauer den Appetit verderben könnt. Dass ich die Farben durch euer Spiel nur strahlender sehe. Euer Schwarz lässt auch das Weiß heller strahlen. Sobald ihr gegangen seid, ja ich sehe ihr habt es plötzlich eilig. Denn ihr seid und wardt immer nur Gäste. Und jetzt ist es Zeit nach Hause zu gehen. Die Sonne kommt gleich raus.
Inspiration für diesen Text gab ein Zitat in einem Text auf Fräulein Fischstäbchens wunderbarem Blog: „Alleinsein kann nur, wer mutig genug ist, mit seinen inneren Dämonen zu sprechen. Du siehst aus, als ob du viele Sprachen sprichst, Mädel. Bewahre dir das.“
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